top of page

Der Yasukuni-Schrein in Tokio

Der Yasukuni-Schrein ist ein Shinto-Schrein, der 1869 während der Meiji-Restauration erbaut wurde. An ihm werden die Kriegsgefallenen, welche für den Tennō gefallen sind, als Götter (kami) verehrt. Eingeschreint sind Kriegsgefallene seit der Restauration 1868 bis einschließlich des Zweiten Weltkriegs. Der Yasukuni-Schrein stellt dabei einen unabhängigen Zweig des Shintoismus dar, es handelt sich um eine Ein-Schrein Religion (Scheid 2010). Zusätzliche befindet sich auf dem Gelände des Schreins das Museum Yūshūkan. In diesem wird auf die Geschichte Japans im Zusammenhang mit verschiedenen Kriegen eingegangen. Bereits seit den 1970er Jahren steht der Yasukuni-Schrein häufig in der Kritik, da dort auch Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg verehrt werden, die im Rahmen der Tokioter Prozesse (japanisches Äquivalent der Nürnberger Prozesse) als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet wurden. Auch eingeschreinte Kriegsverbrecher aus japanisch-chinesischen Kriegen sorgen für Kritik.

Der Schrein bietet vor allem Eindrücke über die Erinnerungskultur in Japan, besonders was den Umgang mit eigenen Kriegsverbrechen und victimization angeht.

Übersichtsflyer des Schreins:

Bei den am Yasukuni-Schrein durchgeführten Beobachtungen fällt zuerst auf, dass der Schrein deutlich weniger touristisch wirkt als andere religiöse Stätten in Tokio. Die Menschen vor Ort scheinen überwiegend Einheimische zu sein, wobei dies durch reine Beobachtungen selbstverständlich nicht belegt werden kann. Der Schrein scheint insgesamt weniger gut besucht zu sein, was auch durch die Besucherzahlen belegt werden kann. Jährlich besuchen ungefähr 5 Millionen Menschen den Schrein (JapanTravel). Das ist deutlich weniger als andere touristische Ziele in Tokio, wie beispielsweise der Asakusa-Schrein mit ungefähr 30 Millionen Besuchern pro Jahr (Live Japan). Auch die japanische Reiseführerin der Gruppe kann diesen Eindruck bestätigen, sie war bisher mit keiner anderen Reisegruppe am Yasukuni-Schrein. 

Die meisten Besucher des Schreins scheinen diesen aufzusuchen, um an der Haupthalle zu beten. Darüber hinaus halten sich einige Menschen im Garten des Schreins auf. Die Stimmung ist ruhig und das Gelände wirkt weitläufig. Damit bietet es einen deutlichen Kontrast zum sonst eher vollen und belebten Tokio. Einige Menschen fallen dadurch auf, dass sie das Gelände beim Spazieren oder Joggen kreuzen. 

Auf dem Gelände finden sich einige Statuen und Denkmäler, die Kriegsopfern aus verschiedenen Kriegen gewidmet sind. Darunter beispielsweise Denkmäler für Kriegswitwen des Zweiten Weltkriegs oder für Tiere, die im Dienste der japanischen Streitkräfte standen (Pferde, Brieftauben, Hunde). Vor dem Eingang des Museum Yūshūkan finden sich darüber hinaus auch eine Schiffskanone sowie ein Denkmal für die Kamikaze-Piloten. Die Denkmäler stammen aus verschiedenen Kriegen und wirken wahllos verteilt. Im Vergleich zu anderen Konflikten scheint er Zweite Weltkrieg keine herausragende Stellung einzunehmen, obwohl die Mehrheit der eingeschreinten Soldaten im Zweiten Weltkrieg gefallen sind (Scheid 2010). Für die Opfer der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki konnte die Exkursionsgruppe kein Denkmal finden. Dies ist allerdings wenig verwunderlich, da der Yasukuni-Schrein explizit gefallenen Soldaten gewidmet ist. Für die Exkursionsgruppe war es befremdlich, wie nah Religion und Spiritualität an diesem Ort mit den Kriegsdenkmälern verbunden sind. 

Schiffskanone vor dem Eingang des Yushukan-Museums

Im Kontext der häufigen Kritik am Yasukuni-Schrein fanden wir ein Denkmal besonders erwähnenswert:

image_67207169.jpeg

Gedenktafel für den indischen Richter Dr. Radhabinod Pal, der Teil der Tokioter Prozesse war

Hier wird dem indischen Rechtswissenschaftler und Richter Radhabinod Pal gedacht. Dieser war einer der Richter der Tokioter Prozesse und laut der Gedenktafel der einzige anwesende Richter, der dafür plädiert hatte, alle Angeklagten freizusprechen. Schlussendlich konnte sich Dr. Pal nicht durchsetzen: Die Angeklagten wurden als Kriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet. Dass eben diese verurteilten Kriegsverbrecher im Yasukuni-Schrein als Helden verehrt und gefeiert werden und auch explizit dem Richter gedacht wird, der sie verteidigte, verdeutlicht, dass zumindest am Yasukuni-Schrein die Rolle Japans als Aggressor im Zweiten Weltkrieg nicht Teil der Geschichte ist. 

Das Museum Yūshūkan bestätigt diesen Eindruck. Hier wird nicht nur der Zweite Weltkrieg verklärt und als heiliger Krieg bezeichnet, sondern auch andere Kriege und Massaker beschönigt. Viele historische Fakten des Zweiten Weltkriegs werden hier zu Gunsten der Japaner beschönigt, beispielsweise werden die USA alleinig für den Ausbruch des Krieges verantwortlich gemacht (Simone 2014):

IMG_0232.jpeg

Tafel aus dem Yūshūkan Museum. Den Vereinigten Staaten wird hier indirekt die Schuld für den Weltkrieg zugesprochen. Der Angriff Japans auf Pearl Harbor, der ultimativ den Ausbruch des Krieges ausgelöst hat, wird nicht erwähnt

Aus unserer Sicht wird im gesamten Museum ein Narrativ beschrieben, das Japan in der Opferrolle darstellt. Japans oft grausame Feldzüge durch das östliche Asien vor dem Zweiten Weltkrieg werden beschönigt und als notwendig dargestellt, um Asien vor westlichen Einflüssen zu schützen (Takahashi 2007). Die Tokioter Prozesse werden bis heute auf Broschüren und der Website des Schreins und Museums als Schauprozesse und Ergebnis der Siegerjustiz bezeichnet. Es ist wenig verwunderlich, dass es in der Vergangenheit häufig nicht nur Kritik am Yasukuni-Schrein, sondern auch an dem hier ansässigen Kriegsmuseum gab (Simone 2014). Trotz der Kritik wird der Schrein weiterhin regelmäßig von hochrangigen Politikern besucht, was wiederum für erneute Kritik sorgt.

Der Yasukuni-Schrein wurde 1869 ursprünglich Tenno Mutsuhito (Meiji-Tenno) gewidmet und regelmäßig von ihm und seinen Nachfolgern besucht. 

Herr Dr. Saaler, Professor für moderne japanische Geschichte an der Sophia-Universität in Tokio, bestätigte im Gespräch, dass die heutige Kaiserfamilie den Schrein seit 1978 nicht mehr offiziell besucht, nachdem im selben Jahr vierzehn Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg eingeschreint wurden. Vorher gab es fast jährlich offizielle Besuche des Kaisers, um die Menschen zu ehren, die für ihn und das japanische Kaiserreich gefallen sind. Verurteilten Kriegsverbrechern wollte er diese Ehre nicht mehr zuteilwerden lassen und unterlies fortan seine Besuche. Dies verdeutlicht, dass auch in der Kaiserfamilie der Konflikt um den Yasukuni-Schrein thematisiert und als wichtig angesehen wird. Nichtsdestotrotz bleibt der Schrein bis heute das wichtigste Kriegsdenkmal Japans, auch wenn sein Narrativ laut Dr. Saaler in der japanischen Gesellschaft nicht mehr mehrheitsfähig ist.

In der japanischen Gesellschaft sind Harmonie und Kontinuität von hoher Bedeutung. Das hat zur Folge, dass es seit dem Zweiten Weltkrieg keine fundamentalen Änderungen in der Gesellschaft gab und auch die Traditionen des Yasukuni-Schreins trotz Kritik annährend gleich bleiben. Dazu kommt eine große Gruppe von unpolitischen Hinterbliebenen der eingeschreinten Soldaten, die eine enge und persönliche Bindung zum Schrein haben (Scheid 2010). baldige Änderung der Religion und des Narrativ des Yasukuni-Schreins ist folglich unwahrscheinlich.

Abschließend lässt sich feststellen, dass der Yasukuni-Schrein eine, aus deutscher Sicht, befremdliche Art des Erinnerns verkörpert. Die Vergangenheit wird zu Gunsten Japans beschönigt und die kriegerischen Aktivitäten des Landes glorifiziert. Allerdings erfährt der Schrein nicht nur im Ausland, sondern auch innerhalb von Japan regelmäßig Kritik und spiegelt heute die Meinung einer japanischen Minderheit wider. Eine Mehrheit der Japaner sieht die Rolle Japans als Aggressor im Zweiten Weltkrieg als bewiesen, erkennt die Urteile der Tokioter Prozesse an und lehnt somit auch einen Besuch des Yasukuni-Schreins ab.  Damit ist der Schrein nicht repräsentativ für das Erinnern an den Krieg in Japan. Nichtsdestotrotz zeigt sich hier eine Sichtweite auf das Erinnern in Japan, die dort durchaus Unterstützer findet.

Der Schrein verdeutlicht, dass Erinnern in Japan auf eine andere Art und Weise als in der deutschen Kultur passiert. Auch wenn das atomare Trauma in Hiroshima nicht erwähnt wurde, konnte der Schrein trotzdem Einblicke in die Erinnerungskultur in Japan vermitteln.

Literatur:

JapanTravel (o. J.). Yasukuni Shrine. https://en.japantravel.com/places/tokyo/yasukuni-shrine/94#:~:text=Five%20million%20people%20visit%20Yasukuni,00%20from%20November%20to%20February (letzter Zugriff 27.06.2023).

Live Japan (o. J.). Asakusa: Overview and History. https://livejapan.com/en/in-tokyo/in-pref-tokyo/in-asakusa/#:~:text=Asakusa%3AOverview%20%26%20History,net%20in%20the%20Sumida%20River. (letzter Zugriff 27.06.2023).

Takahashi, T. (2007). Yasukuni Shrine at the Heart of Japan's National Debate: History, Memory, Denial. The Asia-Pacific Journal Japan Focus. Onlineausgabe vom 02. April 2007. https://apjjf.org/-Takahashi-Tetsuya/2401/article.html (letzter Zugriff 27.06.2023).

Scheid, B. (2010). Yasukuni: Der Schrein des ,Friedlichen Landes‘. https://religion-in-japan.univie.ac.at/an/Essays/Yasukuni#Fu.C3.9Fnoten. (letzter Zugriff 27.06.2023).

Simone, G. (2014). A trip around the Yushukan, Japan’s font of discord. The Japan Times. https://www.japantimes.co.jp/community/2014/07/28/issues/trip-around-yushukan-japans-font-discord/#.VDUpAo0cR9A (letzter Zugriff 27.06.2023).

bottom of page