Erinnern mit Manga
In einem Interview mit unserer japanischen Reiseleiterin vor dem Besuch des Friedens- bzw. Atombombenmuseums in Hiroshima erzählte sie uns, wie sie als Kind von diesem schrecklichen Ereignis erfahren hatte. Sie brachte einen Manga mit, den sie als Kind gelesen hatte und durch den sie zum ersten Mal mit den Atombombenabwürfen konfrontiert wurde. Es handelt sich um den Manga はだしのゲン, Hadashi no Gen (dt. Barfuß durch Hiroshima) von Mangaka Keiji Nakazawa, einem Überlebenden des Atombombenabwurfs. Unsere Führerin erzählte, dass sie nach der Lektüre des Mangas eine tiefe Traurigkeit, aber auch Wut auf die Wissenschaftler (sie sagte Wissenschaftler im Allgemeinen und bezog sich nicht speziell auf die Amerikaner) empfand, die ihrer Meinung nach mit dem Abwurf der Atombomben ein Experiment an lebenden Menschen durchführten.
Während der gesamten Exkursion konnte man beobachten, dass die Manga-Kultur ein sehr wichtiger Bestandteil der gesamten japanischen Kultur ist. Im Friedensmuseum haben viele Überlebende versucht ihre Eindrücke graphisch darzustellen, in dem sie Bilder gemalt haben die ausgestellt wurden. Man merkte dass diese Art des Erinnerns in Japan sehr wichtig ist. Im Museumsshop des Friedensmuseums wurde an prominenter Stelle eine Kurzfassung des oben genannten Hadashi no Gen verkauft, ebenso eine Sammlung aller Einzelbände, aber auch viele andere Mangas wurden angeboten. Aufgrund der persönlichen Geschichte unserer Reiseleiterin war es uns ein besonderes Anliegen zu analysieren, wie auch in diesem populären Medium an das Ereignis erinnert wird.
Barfuß durch Hiroshima
„Der Atombombenabwurf war die Hölle, aber der Krieg, der dazu führte, war noch schrecklicher. Ich wollte vermitteln, was der Krieg tatsächlich mit den Menschen macht.“
(Autor Keiji Nakazawa 2013: 46)
Bildergalerie mit Bildunterschriften zu Hadashi no Gen (Achtung! Mangas lesen sich von rechts nach links!):
Die Hauptfigur des Mangas ist der fiktive Gen Nakota ein gewöhnlicher Junge, der mit seiner Familie in Hiroshima lebt. Gleich auf der ersten Seite der Kurzfassung wird davon gesprochen, dass Japan mit vielen Ländern Krieg führte. Dies ist eine Formulierung, die man an öffentlichen Orten (z.B. Friedensmuseum, Friedenspark) sehr selten findet. Sie impliziert eine Mitschuld Japans (bzw. eine Täterrolle) an den Ereignissen des 2. Weltkrieges.
Der Vater des Jungen ist ein Kriegsgegner. Der Manga versucht, das Leid, das die japanische Bevölkerung bereits vor dem Abwurf der Atombombe ertragen musste, und die Rücksichtslosigkeit, mit der die eigene Regierung des japanischen Kaiserreichs gegenüber der eigenen Bevölkerung gehandelt hat, darzustellen.
Der Manga scheut sich nicht, das Leid der Atombombenopfer und das Ausmaß der Zerstörung grafisch brutal darzustellen. Er zeigt die Bewohner Hiroshimas und Japans nicht nur als Opfer, sondern auch als Mittäter, die blindlings Regierungsbefehlen gehorchten und dafür einen hohen Preis zahlten.
Der Atombombenabwurf wird als direkte Folge der kriegerischen Aktivitäten Japans dargestellt, die Japan hätte verhindern können und müssen. Gefallene Soldaten und zivile Opfer werden nicht heroisiert.
Hiroshima's Revival: remembering how people overcame destruction and despair
Eine Reihe weiterer Mangas konnte im Museumsshop erworben werden, z.B. ein Manga über das Leben der berühmten Sadako oder der Manga Hiroshima's Revival: remembering how people overcame destruction and despair, der sich mit dem Wiederaufbau der Stadt und der Neuorientierung hin zu einer Stadt des Friedens beschäftigt:
Anders als am Yasukuni-Schrein werden hier nicht die Kriegsgefallenen als Helden geehrt oder vergöttlicht, sondern diejenigen, die dafür verantwortlich waren, dass Hiroshima wieder aufgebaut werden konnte und in neuem Glanz erstrahlt.
Dabei geht es nicht nur um den Wiederaufbau der Stadt, sondern auch um die Suche nach einer neuen Identität, weg von der Militärstadt hin zur Automobil- und Friedensstadt. Das zweite Bild zeigt die Verhandlungen zum Bau des Friedensparks, dem Herzstück des wieder aufgebauten Hiroshima.
Das Nachwort setzt sich kritisch mit der Geschichte Japans und den Ursachen des Krieges auseinander. Hervorgehoben werden die guten Beziehungen zu den USA vor dem Krieg. Die USA werden keineswegs als Übeltäter dargestellt.
Fazit
Die Analyse der beiden Werke hat gezeigt, dass in den Mangas Geschichtsnarrative dargestellt werden, die in Japan sonst kaum anzutreffen sind. Vor allem der erste Manga geht wesentlich kritischer mit der eigenen Geschichte um als das Friedensmuseum, in dem er verkauft wird. Während man im Friedensmuseum kein Wort über die Mitschuld Japans am Zweiten Weltkrieg findet, sind solche Positionen in den analysierten Mangas deutlich zu erkennen. Mangas scheinen in Japan einen Raum für die Darstellung und Erzählung von Geschichtsnarrativen zu bieten, die sich von den typischen Darstellungen an den von uns besuchten öffentlichen Orten unterscheiden.
Literatur:
Nakazawa, Keiji; Baldwin, Elizabeth (2019): Barefoot Gen. Condensed Version. Tōkyō: Dinobokkusu.
Aoki, Takeo; Tezuka Productions (2018): Hiroshima's Revival. Remembering how people overcame destruction and despair. Tōkyō: Chiyoda-ku.
Der Manga Barfuß durch Hiroshima wurde auch als Anime verfilmt, hier ein kurzer Ausschnitt, der den Atombombenabwurf zeigt: (Achtung!: Video beinhaltet verstörende Bilder)