top of page

Theorie: Erinnerungslandschaften

Ein kurzer Abriss der Erinnerungsforschung

Aleida Assmanns Theorie des individuellen und kollektiven Gedächtnisses gilt als Leittheorie der Gedächtnisforschung. Für Assmann ist das Gedächtnis die Voraussetzung für die Tätigkeit des Erinnerns. Das Gedächtnis besteht aus aktivem und passivem Erinnern. Man kann die Vergangenheit bewusst rekonstruieren (aktiv), aber das Gehirn speichert unkontrolliert viel mehr Informationen ab oder löscht sie (passiv). (Vgl. Assmann 2011: 204f.) Nach Assmann gibt es ein individuelles Gedächtnis des Einzelnen und ein kollektives Gedächtnis, eine Art soziales Gruppengedächtnis.

Assmanns Theorie baut auf den Forschungen von Maurice Halbwachs aus den 1920er Jahren auf. Für Halbwachs ist Erinnerung immer etwas Soziales und Kommunikatives, etwas, das durch den Austausch lebendiger Erinnerungen entsteht und somit auch identitätsstiftend ist. Damit sich ein generationenübergreifendes kollektives Gedächtnis bilden kann, muss ein Austausch zwischen Zeitzeugen und Nachkommen stattfinden. Das intergenerationelle kollektive Gedächtnis reicht so weit zurück, wie sich die ältesten Mitglieder einer sozialen Gruppe erinnern können. Nur so weit reicht das kommunikative Gedächtnis, darüber hinaus muss es zu einer Weitergabe von kulturellem Wissen kommen, das über verschiedene Medien an die Nachkommen weitergegeben wird. (Vgl. Assmann 2011: 189; Erll 2017 12ff). Assmann sieht hier den Umbruch in das „Kulturelle Gedächtnis“, das vor allem für Großgruppen wie Ethnien, Nationen und Staaten gilt. „Hier muss jedoch mit Nachdruck erwähnt werden, dass solche Einheiten kein kollektives Gedächtnis haben, sondern sich eines machen mithilfe unterschiedlicher symbolischer Medien wie Texten,  Bildern, Denkmälern, Jahrestagen, und Kommemorationsriten.“ (Assmann 2011: 189)

Das Kulturelle Gedächtnis gliedert sich demnach in ein Speichergedächtnis und ein Funktionsgedächtnis. Das Speichergedächtnis entspricht dem passiven Gedächtnis einer Gesellschaft, in dem Informationen gesammelt und aufbewahrt werden, nachdem sie ihre unmittelbare Bedeutung verloren haben. Das Medium hierfür ist z.B. das Archiv. Das Funktionsgedächtnis hingegen kann als das aktive Gedächtnis der Gesellschaft verstanden werden. „Es stützt die Identität eines Kollektivs […]. Es wird mit Hilfe unterschiedlicher symbolischer Medien (z.B. Texte,  Bilder, Bauten und Riten) erschaffen. Durch gemeinsame Bezugspunkte in der Vergangenheit und einen gemeinsamen Fundus kultureller Überlieferungen erschaffen sich solche Kollektive damit zugleich eine Wir-Identität.“ (Assmann 2011: 205; Vgl. Assmann 2006)

Diese "Wir-Identität" oder "nation-mémoire" spielt auch bei Pierre Nora eine wichtige Rolle. In seinen Arbeiten versucht er, die „Erinnerungsorte“ Frankreichs zu erfassen. Erinnerungsorte sind für ihn nicht nur geographische Orte wie Gebäude und Denkmäler, sondern können auch "Kunstwerke, historische Persönlichkeiten, Gedenktage, philosophische und wissenschaftliche Texte oder symbolische Handlungen" umfassen. So sind Paris, Versailles und der Eiffelturm Erinnerungsorte, aber auch Jeanne D’Arc, die französische Fahne, der 14. Juli, die Marseillaise und Descartes’ Discours de la méthode.“ (Erll 2017: 20) 

 

Der Begriff Erinnerungslandschaft 
 

Gunnar Maus geht in seiner Dissertation über „Erinnerungslandschaften“ davon aus, dass Erinnerungsorte nicht nur physische Orte sein müssen. Er verfolgt einen praxisorientierten Forschungsansatz. Mit dem Begriff der Erinnerungslandschaft beschreibt er „de[n] Zusammenhang von Praktiken des Erinnerns mit den erinnerten und erinnernden Orten, Dingen, Menschen und Ereignissen sowie den daraus hervorgehenden Vorstellungen von Vergangenheit“ (Maus 2015; 41). Für Maus ist es daher von besonderer Bedeutung zu beobachten, wie sich Erinnerungspraktiken sowohl in kollektiver als auch in individueller Form ausdrücken und wie sie Orten und Dingen spezifische Bedeutungen in Bezug auf die Vergangenheit zuschreiben. 
 

Das Forschungsprojekt orientierte sich grundsätzlich an dem von Maus vorgeschlagenen praxisorientierten Forschungsansatz. Dabei sollten insbesondere die sozialen Praktiken beobachtet werden, denn angenommen, ein Denkmal wird kaum noch besucht und es lassen sich auch keine Praktiken beobachten, die der Erinnerung an das historische Ereignis dienen, dann kann man davon ausgehen, dass das Denkmal kein kollektiver Erinnerungsort, kein Teil der Erinnerungslandschaft, mehr ist. 

Literatur: 

Assmann A. (2006) Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. C.H. Beck, München. 

Assmann A. (2011) Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen. Erich Schmidt Verlag, Berlin. 
 

Erll A. (2017) Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung. J.B. Metzler, Stuttgart. 
 

Maus G. (2015) Erinnerungslandschaften: Praktiken ortsbezogenen Erinnerns am Beispiel des Kalten Krieges. Kieler Geographische Schriften Band 127, Universität Kiel, Kiel. 

bottom of page